Handwerk und Nachwuchs finden einander durch Initiative, Wertschätzung und Willen zum Klimaschutz

Foto vom Unternehmensgebäude der Noordtec GmbH & Co.KG

Viel Raum für PV: Bei Noordtec gibt es Photovoltaik im Geschäftsmodell und auf dem Dach. Über Azubimangel kann sich der Betrieb aus Westerstede bei Oldenburg nicht beklagen (Foto: Noordtec).

Geht es um die Zukunft des Handwerks und der Energiewende, führt kein Weg an der Lösung des aktuellen Fachkräfte- und Azubimangels vorbei. Gelöst hat dies Noordtech, ein ca. 100-köpfiges Unternehmen aus Westerstede bei Oldenburg, das Produkte und Dienstleistungen für alternative Mobilität, erneuerbare Energien und technische Infrastruktur anbietet. Wie hat das funktioniert?

Handwerk & Nachwuchs: Das Wichtigste kurz gefasst

  • Der Fachkräftemangel im Handwerk spitzt sich weiter zu. Vor allem der fehlende Nachwuchs bereitet Verbänden wie dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) Kopfschmerzen.
  • Zu den Ursachen zählen sowohl der Wandel in der Demografie und der Bildungswahl, als auch die durch die Energiewende gestiegene Nachfrage.
  • Um zeitnah Abhilfe zu schaffen, muss das Handwerk eigenverantwortlich und rechtzeitig planen.
  • Flache Hierarchien, Mentoring und Wertschätzung zählen zu den Merkmalen von Noordtec, einem Betrieb, der erfolgreich die nächste Generation des Handwerks anwirbt – und hält.
  • Betriebe, die in ihren Nachwuchs investieren und echten Willen zum Klimaschutz zeigen, überzeugen die junge Generation.
  • Medien und Schulen könnten die Unternehmen mit mehr Informationen über die Vorzüge einer Karriere im Handwerk unterstützen.

Die Ursachen des Fachkräftemangels im Handwerk

Das Handwerk leidet wie viele andere deutsche Berufszweige unter dem Fachkräftemangel: Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) gibt an, dass der Branche ca. 250.000 Fachkräfte fehlen und in den kommenden Jahren rund 125.000 Betriebsnachfolgen anstehen, die nicht gedeckt sind. Das Schaffen und Besetzen von Ausbildungsstellen stellt laut dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung den „zentralen Weg“ aus dem Engpass dar. Das Angebot der ausgeschriebenen Ausbildungsstellen wächst bereits, jedoch werden tendenziell weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen, sodass im Schnitt 20.000 Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben.

Bauunternehmer Genc Hoxha stellte im Interview mit Autarq (Reihe: Schöne neue Energiewelt) folgende These auf: Schulabgänger:innen, die vor der Berufswahl stehen und dem Thema Erneuerbare Energien zugewandt sind, entscheiden sich meist für Bildungswege, die am Handwerk vorbeiführen. Der ZDH bestätigt, dass der demografische Wandel und auch ein „sich zunehmend veränderndes Bildungswahlverhalten“ Grund für viele offene Ausbildungsstellen sind. Während der rückläufigen Konjunktur im Handwerk der Neunziger- und frühen Zweitausenderjahre wurden zahlreiche Stellen abgebaut – und nie nachbesetzt. Durch die Energiewende wächst die Nachfrage nach Serviceleistungen des Handwerks aber wieder stetig an. 

Das so entstandene Fachkräfte-Nadelöhr muss einerseits in der Bildungs- und Arbeitspolitik angegangen werden; andererseits kommen viele Handwerksbetriebe bereits jetzt ins Schwitzen und müssen dringend Eigeninitiative zeigen. Wie also schaffen es Unternehmen schon jetzt, die nächste Generation für das Handwerk zu begeistern und so das Personal für die Umsetzung der Energiewende zu gewinnen und sichern?

Den Bedarf an Nachwuchs im Handwerk rechtzeitig planen

Nicht alle Betriebe müssen um eingehende Bewerbungen zittern. So schreibt Noordtec aktuell deutlich mehr Stellen als noch vor ein paar Jahren aus und besetzt diese auch konsequent: „Die steigende Nachfrage nach Fachkräften in der Branche hat uns veranlasst, unser Ausbildungsangebot auf- und auszubauen“, berichtet Geschäftsführer und Mitgründer Marcus Reher. „Wir haben 2020 angefangen auszubilden.“

Foto von Noordtec Gründer Marcus Reher im Selfie-Format
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Noordtec-Gründer Marcus Reher will die „enorme Chance” der Energie- und Verkehrswende nutzen. Für das niedersächsische Unternehmen spielt das Rekrutieren und Sichern von Nachwuchs dabei eine entscheidende Rolle (Bild: Marcus Reher via Noordtec).

Dieser Zeitpunkt stellt nicht etwa eine Spätzündung dar: Noordtec gibt es „erst“ seit 2017. Ausschlaggebend für die Gründung war übrigens nicht die schiere Anzahl an Windrädern in Niedersachsen, auch wenn das Bewusstsein für Erneuerbare Energien dort enorm hoch ist: 2023 deckte das Bundesland erstmals seinen gesamten Energiebedarf – also rund 50,8 Terrawattstunden – durch Windkraft, Solaranlagen und Biogas. Reher und Noordtec dachten von Anfang an weiter: „Es war und ist klar, dass die Energie- und Verkehrswende eine enorme Chance darstellt, sich aufzustellen, weiterzuentwickeln und neue Märkte zu erschließen.“

Mehr Nachwuchs im Handwerk durch flache Hierarchien, Mentoring und Wertschätzung

Gleichzeitig weiß der Betrieb die Qualitäten von passenden Kandidat:innen sehr zu schätzen. Für Noordtec und Reher ist der Nachwuchs die „treibende Kraft hinter der Energiewende. Junge Menschen bringen frische Ideen und Innovationen in die Branche ein und werden maßgeblich dazu beitragen, nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Sie denken ‚out of the box‘, wir mögen das sehr.“ Noordtec lege daher Wert auf eine praxisnahe Ausbildung, während der Auszubildende von Beginn an in spannende Projekte einbezogen und in der persönlichen wie beruflichen Entwicklung gefördert wird – beispielsweise durch gezieltes Mentoring.

Reher über den Nachwuchs: „Sie denken ‚out of the box‘, wir mögen das sehr.“

Dass Reher meint, was er sagt, spiegelt sich in den Kommentaren auf der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu wider: Von flachen Hierarchien ist die Rede und davon, dass „Monteure mit den Vorgesetzten zum Kaffee“ an einem Tisch sitzen. Bei Kritik springt Reher auch schon mal persönlich für Junior-Kolleg:innen in die Bresche: „Unsere jüngeren Projektleiter machen einen sehr guten Job, wie alle anderen […] auch.“ Dazu gibt der Noordtec-Azubi Niklas Steingräber zu Protokoll, dass er die Wertschätzung, die er im Unternehmen erfährt, gern stärker in der Gesellschaft gespiegelt sähe: „Es wäre hilfreich, wenn die Ausbildung im Handwerk mehr gesellschaftliche Anerkennung erfahren würde, um den Stellenwert dieser Berufe zu erhöhen. Auch Handwerk kann modern sein!“

Für mehr Nachwuchs im Handwerk das Interesse bereits in der Schule und in den Medien wecken

Eine solche Wertschätzungskultur bildet also eine gute Grundlage für das Recruiting. Was aber macht den Betrieb sonst noch interessant für den Handwerksnachwuchs? Reher führt aus: „Wir haben durch unseren Neubau und interessante Themen wie Photovoltaik, Wasserstoff und die geplanten LNG-Terminals in der Nähe den Ruf, dass wir attraktive Arbeitsbedingungen bieten. Über mangelnde Nachfrage können wir deshalb nicht klagen.

Im September 2023 hat Noordtec seinen Neubau bezogen. Das offene Raumkonzept und diverse Lounges fördern die Kommunikation und flachen Hierarchien des Unternehmens (Quelle: Noordtec via Instagram).

Der Betrieb sieht allerdings auch die wachsenden Anforderungen an Bewerber:innen. Im Gegensatz zu früher seien beispielsweise breitere Vorkenntnisse in IT und Technik quasi zur Voraussetzung für eine Ausbildung geworden, ebenso wie stark ausgeprägte Kommunikations- und Teamfähigkeit. Skills, die Bildungseinrichtungen nur bedingt vermitteln. 

Der 49-jährige Reher sieht Schulen eher in der Pflicht, wenn es darum geht, Interesse zu wecken und erste Praxiserfahrung zu ermöglichen: „Indem sie gezielte Bildungsprogramme zu Erneuerbaren Energien und nachhaltigen Technologien anbieten, können Bildungsstätten junge Menschen für die Bedeutung nachhaltiger Lösungen sensibilisieren. Darüberhinaus können Praktika, Ausflüge und Kooperationen mit Unternehmen wie Noordtec den Schüler:innen praktische Einblicke in die Arbeitswelt des Handwerks und der Energiewende ermöglichen.“ Wie schon im Autarq-Artikel „Frauen im Handwerk“ festgestellt, wünscht sich die Nachwuchsgeneration also eine reichhaltigere Abbildung des Handwerks in den Medien und mehr Informationsangebote an Schulen. Ließe es sich so umkehren, dass viele junge Menschen keine Handwerker:innen werden wollen?  

Noordtec-Azubi Niklas Steingräber bestätigt das: „Ich denke, es ist wichtig, dass in Schulen und Medien mehr über die Möglichkeiten und Karrierechancen im Handwerk informiert wird. Oft wird das Handwerk unterschätzt und als weniger attraktiv angesehen, obwohl es so spannende und gut bezahlte Berufe bietet. Informationsangebote und Berufsorientierung in Schulen könnten mehr junge Menschen für das Handwerk begeistern.“ 

Foto zweier junger Dachdecker bei der Arbeit
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Junge Nachwuchskräfte erwarten im Handwerk spannende und vielfältige Aufgaben, betonen die Noordtec-Azubis. Auch beim hier gezeigten Dachhandwerksbetrieb Stapelfeldt aus München zeigt der Nachwuchs große Begeisterung für das Gewerk. (Foto: Amelie Niederbuchner, WE SUM GmbH)

„Mehr Infos über das Handwerk wären auf jeden Fall super“, findet auch Marvin Härtel, der just seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat. „In der Schule wird das oft total unterschätzt. Dabei gibt's richtig spannende Berufe und Möglichkeiten. Schulen könnten zum Beispiel mehr über die Vielfalt im Handwerk erzählen und auch praktische Workshops anbieten. Und in den Medien könnte man das Handwerk auch mal positiver darstellen, damit mehr junge Leute sehen, wie cool das Handwerk eigentlich ist.“

Echter Wille zum Klimaschutz im Handwerk zieht den Nachwuchs an

Ein Bewusstsein für den Klimawandel und die Bedeutung der Energiewende scheint zumindest im Kreis Ammerland schon zu existieren – Härtel beispielsweise beantwortet die Frage nach den ausschlaggebenden Gründen für seine Berufswahl deutlich: „Ich will meinen Teil dazu beitragen, die Umwelt zu schützen und nachhaltige Lösungen zu finden.“ Auch Steingräber gibt an: „Ich wollte einen Beruf erlernen, der dazu beiträgt, die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern und eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.“

Foto der Noordtec GEschäftsführung : Noordtec-CEO a. D. Gerhard Willms, zweiter Geschäftsvorsitzender Thomas Wright und CEO Marcus Reher
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Authentische und klimafreundliche Unternehmenskultur setzt dieses Team an der Spitze durch: Noordtec-CEO a. D. Gerhard Willms, zweiter Geschäftsvorsitzender Thomas Wright und CEO Marcus Reher (v. l., Foto: Noordtec).

Warum es die beiden am Ende zu Noordtec verschlagen hat, lässt sich am ehesten mit „Authentizität“ zusammenfassen – anders gesagt: Bei Noordtec ist drin, was draufsteht. „Ich wollte Teil eines Unternehmens sein, das aktiv zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft beiträgt“, ergänzt Steingräber. „In den Gesprächen habe ich gemerkt, dass das, was mir erzählt wird, authentisch und ehrlich ist. Die moderne Persönlichkeit des Unternehmens und das Umfeld spiegeln sich in der Ausbildung wider.“ Da geht auch Härtel mit: „Die Firma hat mich von Anfang an begeistert. Außerdem sind die Kolleg:innen super und die Arbeitsatmosphäre ist echt cool.“

Investitionen in die Arbeitsumgebung zahlen sich aus

Die Identifikation mit dem Arbeitgeber scheint für die junge Generation eine große Rolle zu spielen. Dass dies bei Noordtec so gut passt, könnte einerseits an dem laut Reher jungen und technik- wie digitalaffinen Team liegen. Andererseits weiß auch er: „Attraktiv finden viele die Entwicklungsmöglichkeiten, unsere offene Unternehmenskultur und das angenehme, moderne Arbeitsumfeld.“ Der Noordtec-Neubau überzeugt jedenfalls durch zeitgemäßes Design, das eher an eine Werbeagentur als an einen Handwerksbetrieb erinnert. Duschen, Lounges und Pausenräume mit Kickertischen runden die Annehmlichkeiten ab – Investitionen, die das Unternehmen stolz und jugendwirksam auf Instagram präsentiert.

Pausenraum mit Kickertisch: Noordtec präsentiert Ausbildungsgesuche und Eindrücke des Arbeitsalltags dort, wo es bei der Zielgruppe ankommt, unter anderem auf Instagram. (Quelle: Noordtec via Instagram)

Reher und sein Team blicken also völlig zurecht optimistisch in die Zukunft. Für das Ausbildungsjahr 2024 sucht Noordtec insgesamt XX auszubildende Elektroniker:innen, Anlagenmechaniker:innen und Fachinformatiker:innen. „Wir haben große Projekte und Pläne, die uns dabei helfen werden, noch mehr Nachwuchs für das Handwerk zu begeistern“, verspricht Reher.

Fazit: Das Handwerk lockt Nachwuchs, indem es jung denkt

Defizite in der Medienpräsenz des Handwerks und den Informationsangeboten der Bildungseinrichtungen sind mittlerweile hinlänglich bekannt; Kampagnen wie Das Handwerk steuern aktiv dagegen. Dringend muss jedoch Bewegung in die Bildungspolitik kommen, damit junge Menschen den gestiegenen Anforderungen selbstbewusst begegnen können – und zum Zeitpunkt der Berufswahl überhaupt wissen, welch zukunftssichere Jobs die Energiewende bereithält.

Schaut man sich Handwerksbetriebe wie Noordtec an, liegt ein bisher wenig beachteter Faktor für das erfolgreiche Recruiting von Auszubildenden aber auch bei den Gewerken selbst: Es braucht eine respektvolle, wertschätzende Firmenkultur und ein ehrliches Interesse, die Energiewende zu prägen, wie im Gespräch mit der Firma und ihren Azubis deutlich wird. Diese Faktoren dürfen dann auch so nach außen kommuniziert werden, dass es bei der Zielgruppe ankommt, beispielsweise durch Social Media. Das Tüpfelchen auf dem I? Ganz bestimmt der Kickertisch.

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